Na, ob 58% wirklich eine überwiegende Mehrheit sind... Gut, es *ist* eine Mehrheit, aber hätte man in irgendeiner Situation eine 58%ige Überlebenschance, würde man sich vermutlich sehr herzlich von Verwandten und Freunden verabschieden und versuchen, möglichst wenig Unerledigtes zurückzulassen... Sicher ist beides eigentlich nicht vergleichbar, aber 58% sind nur eine *kleine* Mehrheit. Tatsächlich würde ich davon ausgehen, dass wir hier in Deutschland keine 42% Befürworter zusammenbekommen würden - aber ich hoffe, dass ich mich da täuschen würde und die Deutschen unterschätze.

Interessant sind Elgis Vorstellungen, eine - wenn auch kleine - Mehrheit, am besten vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wenn eine Mehrheit dagegen ist, dann zeigt das doch vielmehr, dass man etwas grundlegend falsch gemacht hat. Die kann man doch nicht einfach alle für dumm und zurückgeblieben erklären sondern man sollte doch mal selbstkritisch sehen, was man selbst da versäumt hat! Schließlich *ist* es eine Mehrheit! Entsprechend sollte man sich bemühen, in Erfahrung zu bringen, woher die Ablehung kommt - und behutsam, diplomatisch und mit *viel* Fingerspitzengefühl diese Ursachen angehen, um schließlich doch etwas zu ändern. Alles andere - das Verordnen von Maßnahmen, das Verurteilen der Nein-Stimmer usw. - halte ich angsichts eines solchen Ergebnisses für grundsätzlich falsch - dafür sind 58% einfach zuviel. Ein solches Verhalten würde einfach zuviel Nährboden für neue Ablehung bieten, und *das* wäre *wirklich* kontraproduktiv.

Übrigens bedeutet mMn Toleranz keineswegs, etwas "widerspruchslos hinzunehmen"! Das wäre "akzeptieren". Toleranz *kann* zum einen bedeuten, die andere Meinung einfach hinzunehmen und es dabei zu belassen - dass wäre eine stillschweigende Akzeptanz und damit eine passive Zustimmung (und würde damit weit über die "Toleranz" hinausgehen), oder eben, wie es bei Ralf der Fall zu sein scheint, ein aktives Zugehen auf die andere Seite, das Suchen des Gespräches, vielleicht der Versuch der Vermittlung und möglicherweise sogar das Umstimmen der "Gegenseite". Damit wäre Toleranz die prinzipielle Bereitschaft zu Kompromissen, ohne seinen Standpunkt abzulegen oder den anderen *gutzuheißen*. Intoleranz hingegen bedeutet mMn, das Gespräch mit den "Andersmeinenden" - und damit auch jede Art von Kompromiss - komplett abzulehnen. Ich für meinen Teil halte es lieber mit den Kompromissen als mit der unversöhnlichen "mit solchen dummen Mistkerlen verhandle ich gar nicht erst!"-Fraktion. Denn diese ist mMn der eigentliche Kern der Intoleranz - egal, auf welcher Seite sie steht.
Das ist zumindest meine Vorstellung von Toleranz - sollte sich diese von den euren unterscheiden, haben wir wohl die ganze Zeit aneinander vorbeigeredet...


Zum eigentlichen Minarettfall: Mal abgesehen von der Tatsache, dass ich noch immer die Frage nach einem Minarett für eher zweitrangig halte - einfach weil ich nicht glauben kann, dass ein Muslime ohne ein Minarett seinen Glauben nicht ausüben kann - ist es schon eine paradoxe Situation. Denn obwohl ich hier wohl eher die widersprechende Position einzunehmen scheine (?), stehen wir doch im Grunde genommen auf der gleichen Seite. Möglicherweise nähern wir uns dieser Seite aus unterschiedlcihen Richtungen - obwohl ich viele meiner Vorstellungen in Ralfs Äußerungen wiederzuerkennen glaube.

Grundsätzlich würde ich persönlich ja eigentlich nicht nur gegen jeden Bau eines Minaretts, sondern auch gegen jede Moschee protestieren. Warum? Weil ich Religionen, die immer Fanatismus und daher auch Leid und Elend hervorbringen und damit der eigentliche Kern der meisten gewalttätigen Auseinadersetzungen sind, prinzipiell ablehne und es daher überhaupt nicht begrüßen kann, wenn der Religion durch Bau eines Tempels auch noch Vorschub geleistet wird. Im übrigen halte ich Religion für völlig veraltet (der Glauben an sich ist davon ausgenommen - der ist aber auch nicht dogmatisch bestimmt!) und die Fürsprecher für Religionen für die eigentlichen "Ewig-Gestrigen". Und warum sollte ich etwas unterstützen, was ich in der heutigen, aufgeklärten Zeit für restlos überholt halte? Die Logik würde mir daher gebieten, gegen den Bau jeder Moschee - als Treffpunkt der der modernen Zeit Hinterherhinkenden - zu protestieren. Diese Logik gebietet mir natürlich auch, gegen jeden Bau einer Kirche zu protestieren. Nun ist das hier in Europa mit den Kirchen so eine Sache - man wird nicht gefragt, weil die Kirche Teil unserer Kultur ist und ich ebenfalls Teil dieser Kultur bin. Mir mag der Bau einer Kirche aus obengenannten Gründen gegen den Strich gehen - aber erstens gibt es ja ohnehin schon Kirchen, wohin man schaut, und die sind Teil unserer Kultur, und es liegt mir fern, *die* zu verleugnen, indem ich Kirchen abreißen würde, und zweitens profitiert die Kirche hier in Europa noch von ihrem ehemaligen Machtpotential und kann im Grunde genommen am Bau eines Gotteshauses samt Glockenturm nicht wirklich gehindert werden. Darüber hinaus ist mir natürlich bewusst, dass für viele Glaube und Relgion untrennbar miteinander verbunden sind, und obwohl ich diese Einheit für Quatsch halte (Glaube ist mMn etwas höchst individuelles, Relgion dagegen eine Dogmatisierung des Glaubens), werde ich mich hüten, den Leuten ihren Glauben schlechtreden zu wollen - und bin dadurch "gezwungen", auch die Religion zu *tolerieren*.
Nun bin ich ja stets ein Verfechter des Gleichgewichts, und was den Christen und Kirchen recht ist, das darf anderen Religionen nicht unbillig werden. Wenn es Kirchen gibt (mit Glockentürmen), dann sollen auch andere Religionen ihre Tempel errichten dürfen, und auch mit den dazugehörenden Türmen. Es sollte daher klar sein, wie meine Meinung zum Ausgang der Minarett-Entscheidung lautet.

Tja, der Rest - das ist dann wohl unsere unterschiedliche Beurteilung der "Nein"-Sager: Darf man das "intolerante, dumme Bauerngesocks" einfach verdammen, aburteilen und in die Ecke stellen und damit eigentlich *gar* nichts erreichen, oder sollte man vielmehr den Dialog suchen und feststellen, warum knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung so entschieden hat, wie sie es tat, um vielleicht gezielt etwas *dagegen* tun zu können?




Last edited by buad; 02/12/09 07:41 PM.