Originally Posted by elgi

Wie schon gesagt: Ich habe nichts gegen Aufklärung, ich kläre auch gerne in allen Fragen auf, bei denen ich was beitragen kann. Aber prinzipiell finde ich es fatal, wenn wir sagen: "Wer religiöse Gleichberechtigung will, sollte zuerst die Leute hier erst mal aufklären über seine Religion."


Das war wohl missverständlich. Mit "Aufklärung" meine ich ja nicht nur die über eine andere Religion, sondern auch die über Gleichberechtigung usw. Die Aufklärung darüber, dass Religionen gleichberechtigt zu behandeln sind, sozusagen. Da liegt die Bringeschuld mitnichten nur bei der "neuen" Religion, sondern bei allen anderen auch, die sich selbst bereist als "Aufgeklärt" bezeichnen. Im Prinzip gehts es gar nicht so sehr um die Religion, sondern darum, den Zweiflern den Grundgedanken des Miteinanders, der gleichen Rechte usw. nahezubringen, zu vermittelen. Die Religion - auf die dieser Gedanke dann anwendbar ist, sehe ich nur sekundär. Aber ein Bürger, der Menschen primär als Menschen sieht, dem "politische Korrektheit" im Prinzip wurscht sein kann, weil für ihn sowieso alle gelich wertvoll sind, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft oder eben auch Religion, für den würde sich die Frage nach einem Verbot eines Minarettes (oder sonstigen Turmes) niemals stellen; sie wäre überflüssig, da er ohnehin jedem Menschen das gleiche Recht einräumt, und damit auch dem Moslem sein Minarett. Aufklärung dieser Art war es eigentlich, was ich meinte - sorry für meine missverständliche, irreführende Ausführung.

Eine Aufklärung dieser Art beginnt mMn woanders - nämlich "im eigenen Hause". Es geht hier darum, konkrete Werte zu vermitteln, das Menschsein und die Gleichheit aller Menschen nicht nur zu predigen, sondern zu *leben* - und alles andere, was das Menschsein so mit sich bringt - also auch Religion -, wird dann zur Nebenfrage. Damit ist die Aufklräung eben nihct auf die "neuen" abgewälzt, sondern sie beginnt im Prinzip im Kindesalter und kann von allen beeinflussenden Stellen eingefordert werden. Leider mMn nur die Illusion einer schönen, heilen Welt. In der Realität ist es viel einfacher, Ängste und Hass zu schüren als ernstzunehmende Werte zu vermitteln...

Originally Posted by elgi
Ich will nicht schon wieder Implikationen bewerten, aber ich kann dennoch nicht umhin, einen eigentlich zumindest für mich schockierenden Ansatz zu erkennen: Eine Religionsgemeinschaft, die sich in einem Land bisher nichts zuschulden hat kommen lassen, ist in der Bringschuld der Aufklärung des Volkes, um rechtmäßig die Gleichberechtigung vor dem Gesetz zu fordern. Und das ist dein Ernst?


Siehe oben. Die Bringeschuld liegt eigentlich bei *allen*, wird sich letzlich aber auf einen kleinen Kern Ausführender beschränken. Wie auch immer: Wenn Gleichberechtigung vorgelebt wird, und zwar *wirklich* vorgelebt wird, dann gelingt es vielleicht im Laufe vieler Jahre, diesen noblen Gedanken flächendeckend zu etablieren. Für optimale Wirkung muss dieser Gedanke mMn jedoch auf allen betroffenen Seiten vorhanden sein. Wie schnell kann er kippen, wenn z.B. eine Religion mit der Unterdrückung der Frau gleichgesetzt wird? Was sollte einen Bürger, der sich z.B. vehement für die Gleichberechtigung der Frau einsetzt, dazu veranlassen einer Religion das Tor zu öffnen, die diesbezüglich noch einigen Nachholebedarf hat? Würde er damit nicht einen Teil seiner Erfolge riskieren? Und da kommt dann mMn wieder die Toleranz und - wichtig! - die damit einhergehende Kompromissbereit ins Spiel

Originally Posted by elgi

Müssen dann z.B. Deutsche in Polen ebenfalls Aufklärung betreiben, daß sie ja alle keine Nazis sind, um vor dem polnischen Gesetz Gleichheit einfordern zu können?


Ein interessantes Beispiel. Ich selbst bin in Polen als 10jähriger Knabe (!) von erwachsenen Menschen übelst als Faschist, Nazisau, Mörder und Verbrecher beschimpft worden, als ich deutsch sprach - ein wirklich erschütterndes Erlebnis für ein Kind, das gar nicht wusste, wie ihm geschah.
Es mag sich um einen Einzelfall gehandelt haben, möglicherweise waren die polnischen Herren im besten Mannesalter auch betrunken, und überdies erinnere ich mich an eine ältere Polin (die sicherlich mehr von den nazis mitbekommen hatte als die keifenden Männer), die abwinkte und mir zu verstehen gab, ich solle nicht auf das Geschimpfe hören - aber den Eindruck konnte ihre Freundlichkeit auch nicht zerstreuen.
Sicher hätte ich vor einem Gesetz recht bekommen - erst recht als Kind - aber damals hätte ich mir gewünscht, diese furchtbaren Männer wäre besser informiert und würden mich nicht als etwas bezeichnen, von dem ich bisher nur als das Schlimmste aller Übel gehört hatte.

Es ist egal, ob Deutsche oder Polen oder ganz andere Nationalitäten "Aufklärung" betreiben - aber dieses Beispiel hat mit gezeigt, dass Aufklärung dringend nötig ist - auch wenn ich das damals natürlich alles nicht begriffen habe.

Originally Posted by elgi

Zweifel, Ressentiments, Ängste etc. sind ja schön und gut und ich kann durchaus nachvollziehen, daß es diese gibt. Aber in letzter Instanz kann man nicht die jenigen verantwortlich dafür machen, die Opfer dieser Ängste werden. D.h. es ist schade, wenn ein Bauer auf der Alm meint, sich vor einem Minarett fürchten zu müssen... und gerne würde ich ihm klarmachen, wie unbegründet das ist. Aber in meinen Augen, ist letztendlich dieser Bauer auf der Alm dafür verantwortlich, was für irrationale Ängste er hat und nicht der Otto-Normal-Moslem.


ich glaube, damit würde man es sich etwas zu einfach machen. Das Entstehen von Ängsten ist eine äußerst komplexe Angelegenheit. Sie können leicht und schnell erzeugt werden, auch durch falsche Informationen oder durch ungeschickte Berichterstattung. Ein Teil der Ängste mag aber durchaus einen realen Ursprung haben und ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Zu erkennen, wo die Angst wirklich angebracht ist und wo sie nur auf Vorurteilen beruht, die bei näherrer Betrachtung nicht haltbar sind, ist mMn nicht ganz trivial. Und schwieriger noch ist es, das zu vermitteln. Von "Schuld" mag ich persönlich nicht reden, und auch nicht eine "Schuld" zuweisen. Ich bin jedoch der Meinung, dass alle irgendwie davon betroffen und daran beteiligt sind. Und nur *gemeinsam* etwas dagegen tun können. Ach ja... schöne, heile Welt...