Nachtrag zu den Fantasy Filmfest Nights: Der bislang noch nicht feststehende sechste Film in Nürnberg und Frankfurt wird ein norwegischer Horrorthriller sein (Name habe ich momentan vergessen - könnte "Next Door" sein).

Aber jetzt zu neuen Kritiken - heute gibt es einen echten OSCAR-Doppelpack!

SYRIANA:
Stephen Gaghan, OSCAR-prämierter Drehbuchautor von Steven Soderberghs "Traffic - Macht des Kartells", hat auch in seinem zweiten Film als Regisseur (zu dem er ebenfalls das Drehbuch schrieb, für das er wiederum für den OSCAR nominiert ist) einen hochbrisanten und äußerst komplexen, episodisch aufgebauten Politthriller geschaffen. Dabei basiert der Film aus den Memoiren "See no Evil" des früheren CIA-Agenten Robert Baer. Zwar spielt "Syriana" mehr oder weniger in der Gegenwart und beschreibt rein fiktive Ereignisse, diese richten sich jedoch stark nach Baers eigenen Erlebnissen.
Über die Story etwas zu verraten, wäre jedoch erstens angesichts ihrer Komplexität sehr schwierig und zweitens spoilerfrei kaum möglich. Daher möchte ich es bei einer allgemeineren Information belassen. Kurz gesagt: Es geht um die Machenschaften der (v.a. amerikanischen) Ölindustrie!
Gezeigt wird dies in mehreren Storylines, die u.a. von folgendem handeln:
- einem CIA-Veteranen (George Clooney als OSCAR-nominierte Entsprechung von Robert Baer), der im arabischen Raum Aufträge der Regierung erfüllt
- einem Anwalt (Jeffrey Wright), der einen möglichen Korruptionsfall bei der Fusion zweier Ölfirmen untersuchen soll
- einem Fonds-Spezialisten einer schweizer Bank (Matt Damon), der durch Zufall zum Wirtschaftsberater eines reformwilligen arabischen Prinzen (Alexander Siddig) wird.
- einigen pakistanischen Ölarbeitern, die in Arabien nach Öl suchen und mangels Erfolg in die Fänge islamistischer Prediger geraten

Einige Rezensenten kritisieren, die Handlung sei zu verwirrend und teilweise gar nicht mehr nachvollziehbar. Nicht zum ersten Mal veranlasst mich das zu der Frage, wie diese Leute ihren Job bekommen haben ... Natürlich ist "Syriana" komplex und man sollte den Geschehnissen schon sehr aufmerksam folgen - aber das ist doch auch nicht zu viel verlangt, oder? Ich jedenfalls hatte keinerlei Probleme mit dem Film.
Regisseur Gaghan gelingt es eindrucksvoll, die verschiedenen Geschichten - die teilweise scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun haben - gleichberechtigt zu erzählen. Dabei ist die Handlung äußerst USA-kritisch (weshalb ich erstaunt bin, daß der Film tatsächlich - im Gegensatz zu "Lord of War" beispielsweise - eine reine US-Produktion ist), was wohl selbst der Academy etwas zu heikel wurde, wie die nur zwei OSCAR-Nominierungen (für Clooney und Gaghans Drehbuch) zeigen. Natürlich kann unsereins niemals wirklich beurteilen, ob das Gezeigte einigermaßen realistisch ist. Ich bin mir sogar sicher, daß viele die Geschehnisse als absolut übertrieben und haarsträubend brandmarken werden (wie in den USA bereits geschehen) - aber ich persönlich befürchte, daß "Syriana" der Realität sogar erschreckend nahe kommt ...
Wie in "Traffic" überzeugt auch in "Syriana" eine hochkarätige Darstellerriege (Clooney, Damon, Siddig, Wright, dazu William Hurt, Amanda Peet, Christopher Plummer, Chris Cooper), Alexandre Desplat hat einen unauffälligen, aber wirkungsvollen Score geschrieben, der Film ist rasant geschnitten und die Anzahl der Schauplätze (u.a. USA, Schweiz, Arabien, Spanien) ebenso beeindruckend wie die pointierten Dialoge.

Kurzum: Für mich ein fast perfekter Polit-Thriller, auch wenn manche Dinge notgedrungen doch etwas arg oberflächlich dargestellt werden (wie die Bekehrung der pakistanischen Ölarbeiter durch Islamisten - aber mangels Zeit kann man so etwas in einem einzigen Film kaum authentischer und nachvollziehbarer zeigen) und die Handlung wie gesagt sehr extrem ist. Anders formuliert: Ein glühender Anhänger der Bush-Regierung wird mit "Syriana" nicht allzu glücklich werden ...
Ich schon. 9,5 Punkte. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />

CAPOTE:
So begeistert ich von "Syriana" war, so relativ enttäuscht war ich von "Capote". Wie schon "Walk the Line" über Johnny Cash beschränkt sich auch "Capote" auf einen Ausschnitt aus dem Leben des exzentrischen Schriftstellers Truman Capote anstelle einer kompletten Biographie. In diesem Fall handelt es sich um gerade einmal etwa vier Jahre, jene vier Jahre nämlich, die er gebraucht hat, um sein wohl bekanntestes Werk zu verfassen: seinen bahnbrechenden Tatsachenroman "Kaltblütig".
Darin schreibt er über den Mord an einer vierköpfigen Farmerfamilie in Kansas. Um an Informationen zu kommen, reist er mit seiner Vertrauten Harper Lee (die wenig später mit "Wer die Nachtigall stört" selbst weltberühmt wurde; gespielt von Catherine Keener, die dafür eine OSCAR-Nominierung erhielt) an den Ort des Geschehens, freundet sich mit der Frau des Sheriffs (schon wieder Chris Cooper) an und besucht nach ihrer Festnahme die beiden Täter Dick und Perry im Gefängnis.
Der homosexuelle Capote freundet sich mit dem intelligenten Perry (Clifton Collins Jr.) an, wobei nie völlig klar wird, ob er ernsthaft etwas für ihn empfindet oder ihn ausschließlich benutzt, um an die Details für seinen Roman zu kommen.
Nunja, eigentlich ist das auch schon die ganze Geschichte. "Capote" ist vor allem eine Charakterzeichnung, die von Philip Seymours Hoffmans großartiger (und übermorgen höchstwahrscheinlich mit einem OSCAR prämierter) Leistung lebt. Bislang als herausragender Nebendarsteller (u.a. in "Magnolia", "Roter Drache", "25 Stunden" oder "Almost Famous") nicht unbedingt der breiten Masse bekannt, wird er durch diese Rolle auf jeden Fall zu einem echten Star. Angesichts seiner Darstellung verblassen selbst die ebenfalls sehr guten übrigen Darsteller (neben den genannten auch Bruce Greenwood).
Aber leider konnte ich mich trotzdem nicht vollends mit dem Film anfreunden. Natürlich ist Seymours Darstellung geradezu hypnotisch und es gibt einige grandiose Szenen von beinahe schmerzhafter Intensität - das übertüncht aber nicht unbedingt die Tatsache, daß es keine wirkliche Handlung im klassischen Sinne gibt. Angesichts einer Länge von zwei Stunden empfand ich das mit zunehmender Dauer schon als Manko.
Somit reiht sich "Capote" letztlich doch in den Reigen der Film-Biographien ein, die zwar handwerklich tadellos gemacht sind und regelmäßig mit tollen Schauspielern glänzen, aber letztlich doch nicht den fehlenden roten Faden vergessen lassen können (siehe auch "Aviator", "Ray" oder "Ali").
Fazit: Der Film ist jedem zu empfehlen, der sich für Truman Capote interessiert. Und jedem, der eine grandiose schauspielerische Leistung bewundern darf. Ein Film für das Massenpublikum ist er aber definitiv nicht.
7,5 Punkte.